In den letzten fünfundzwanzig Jahren wurden die stadtentwicklungspolitischen Interessen der jeweiligen Hamburger Regierungen in Leitbilder gegossen, die überregionale Beachtung gefunden haben. Dies muss als Leitbilderfolg gewertet werden. Denn ein wesentliches Ziel von Leitbildern ist die Kommunikation stadtentwicklungspolitischer Interessen. Je konfliktbeladener die Folgen des postfordistischen Wirtschaftsumbruchs und postmoderner Lebensstile werden, desto intensiver wird eine Suche nach einfachen Zukunftsbildern betrieben. Um einen stadtpolitischen Konsens zu ermöglichen sind Leitbilder weniger durch klare Konturen als vielmehr durch breite Interpretationsangebote gekennzeichnet. Seit den 1990er Jahren erfüllen sie eine weitere Funktion. Sie sind Teil der Imagebildung und des Stadtmarketings im internationalen Wettbewerb um Unternehmen und hochqualifizierte Arbeitnehmer_innen. Sie müssen also nach innen und nach außen wirken.
In Hamburg wurde die Strategie der Imagebildung durch Leitbilder schon früh erkannt und zur Regierungsprofilierung eingesetzt. Die SPD-Regierung hat mit dem Leitbild "Unternehmen Hamburg" einer wettbewerbsorientierte Phase Hamburger Stadtpolitik eingeführt, die sich an marktwirtschaftlichen Idealen orientiert (1983-1994). Das Leitbild "Zukunftsfähiges Hamburg" der rot-grünen Regierung propagierte eine integrierte Perspektive, die umwelt- und wirtschaftspolitische Interessen ausgleichen wollte (1994-2001). Die CDU-Regierung hat das Leitbild der "Wachsenden Stadt" geprägt, das für gewinnmaximierendes Standortmanagement steht (2001-2008). Dieses Leitbild wurde nach grüner Regierungsbeteiligung modifiziert als "Leitbild Hamburg: Wachsen mit Weitsicht", in dem die wettbewerbsorientierte Standortpolitik weitergeführt und durch die Ideale der kreativen Stadt und der nachhaltigen Stadt ergänzt wird: "Hamburger Talente und Hamburgs Magnetwirkung auf Talente fördern und Hamburg als gerechte und lebenswerte Stadt gestalten" (BSU 2009).
Diese Leitbilder wurden allesamt nicht im Stadtparlament abgestimmt, sondern vom Oberbürgermeister persönlich ausgerufen (Donanyis "Unternehmen Hamburg") oder von einer Unternehmensberatung in Eigenregie entwickelt (McKinseys "Wachsende Stadt"). Sie sind nicht nach demokratischen Prinzipien legitimiert, werden aber dennoch als Orientierungsrahmen zukünftiger Stadtentwicklung gesetzt.
Schlüsselprojekte dieser Leitbilder finden sich aufgereiht am Elbufer. Wie auch andere europäischen und nordamerikanischen Hafenstädte erfährt Hamburg seit den 1980er Jahren eine Hafenrandentwicklung, die das städtische Wohnen und Arbeiten nach der Verlagerung der Hafennutzungen wieder ans Wasser zurückbringen soll. In der ersten Phase der Umgestaltung des nördlichen Hafenrands wurden Hafengebäude umgenutzt (Seniorenresidenz im Övelgönner Kühlspeicher, Greenpeace und Einrichtungshaus im Getreidespeicher, Gastronomie in der Fischauktionshalle) und entstanden Bürokomplexe im maritimen Look (Gruner + Jahr Verlagshaus, Hanseatic Trade Center). Der damalige Oberbaudirektor sieht diese Projekte als Teil einer "Perlenkette am Hafenrand". Da die Kette nur von der Elbe aus sichtbar ist, zeigt schon diese Bezeichnung, dass die Außenwirkung das zentrale Element dieser stadtplanerischen Maßnahmen ist. Die gewählte Planungsstrategie ist auch Imagestrategie und dient dem Stadtmarketing der unternehmerischen Stadt. Als Ergebnisse des hartnäckigen Widerstands gegen diese Regierungsstrategien finden sich alternative Hafenrandprojekte wie die sanierten Hafenstraßenhäuser oder die partizipativ gestaltete öffentliche Freifläche "park fiction". Anders als die "Perlen" sollten diese Aufwertungsmaßnahmen des Stadtteils primär dessen Bewohner_innen dienen.
Nach einer längeren Entwicklungspause am innerstädtischen Hafenrand, startete 1997 das große Stadtentwicklungsprojekt der Umgestaltung der Hafenflächen zwischen Speicherstadt und Elbe für Wohnen, Konsum und Bürobebauung. Dessen Titel "HafenCity" soll die Verbindung der Nutzungspotentiale innerstädtischer Funktionen mit maritimem Flair assoziieren lassen. Das Projekt wurde von Beginn an als Leitprojekt nachhaltiger Stadtentwicklung propagiert und als solches im November 2000 vom Bundesbauministerium ausgezeichnet. Gestartet wurde das Projekt als Bürostandort der neuen Medien und Wohnort junger Urbaniten. Dafür sollten die Qualitäten der Gründerzeitquartiere kopiert werden, mit der Quirligkeit des Schanzenquartiers als Vorbild: Blockrandbebauung, Funktionsmischung, abwechslungsreiche Architektur, Nutzungsvielfalt des öffentlichen Raums. Geplant wurde ein Areal für bis zu 12.000 Bewohner_innen und 20.000 Arbeitsplätze (vgl. Masterplan von 2000). Das Projekt kam ins Stocken mit dem abrupten Ende des new media booms und der Finanzierungsschwäche potentieller Investor_innen durch die Bankenkrise.
Als Schlüsselprojekt des Leitbildes "Wachsende Stadt" wurde die HafenCity mit einer Imagekampagne überzogen, die große mediale und internationale Aufmerksamkeit erzeugte: Die HafenCity wurde zentraler Teil in die Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2012. Das zuvor geplante Bürogebäude "Mediaport" am Eingang der HafenCity wurde zur "Elbphilharmonie" umgeplant. Real ins Wachsen gekommen ist die HafenCity aber erst dank der Globalisierungsgewinne im Containerumschlag. Investiert in Bürogebäude haben die hafenbezogenen Unternehmen der Logistikbranche (Kühne & Nagel u.a.) und die Finanzdienstleister (Bankhaus Wölbern u.a.). Mittlerweile ist der westliche Bauabschnitt fertiggestellt und hat aktuell (Januar 2009) ca. 1.500 Bewohner_innen und ca. 3.000 Arbeitsplätze. Da Bänker_innen schlichtere Fassaden bevorzugen als Medienarbeiter_innen ist die Architektur konservativer geraten als von der HafenCity Entwicklungsgesellschaft gewünscht. Das gleiche gilt für die Bewohner_innen. Es sind weniger die jungen hochqualifizierten Neu-Hamburger zugezogen als vielmehr zahlreiche Pensionär_innen aus dem suburbanen Raum. Das führt nicht nur zu einem im Hamburger Mittel relativ hohem Durchschnittsalter in der HafenCity auch das Wahlverhalten ist konservativer als in Blankenese (vgl. Bürgerschaftswahl vom 24.02.2008). Auch das Ideal der Emissionsreduktion wird u.a. durch die Planung Hamburgs größter Tiefgarage mit 3.100 Stellplätzen im Bereich der Shopping-Meile "Überseequartier" konterkariert. Dennoch wird das Image eines neuen kreativen, klimafreundlichen Stadtteils durch die Stadtregierung weiterhin vermittelt.
Auch wenn das Leitbild "Wachsende Stadt" auf Zuwanderung von Einwohner_innen und Unternehmen zielt, ist das reale Wachstum dieser stadtplanerischen Variablen unterproportional im Vergleich zum Wachstum des Flächenverbrauchs für Siedlungs- und Verkehrszwecke. Der Bevölkerungszuwachs in der Kernstadt ist zwar seit der Wende positiv, nimmt aber kontinuierlich ab und ist in Relation zur anhalten Suburbanisierung marginal. Innerstädtische Quartiere zeichnen sich sogar durch Bevölkerungsverluste aus trotz einer absoluten Zunahme der Wohnfläche. Was in Hamburg wächst ist vor allem der Wohnraumanspruch seiner Einwohner_innen. Während die Bevölkerungszahl nach einem Tief Mitte der 1980er Jahr (1.57 Mio.) wieder ca. den Wert von 1970 erreicht hat (rund 1.75 Mio.), ist der Flächenverbrauch für Siedlungszwecke im gleichen Zeitraum um 50% angestiegen (von rund 28.000 ha auf 38.000 ha). Zwischen 2002 und 2006 sind durchschnittlich über 330 ha Stadtfläche pro Jahr für Siedlungszwecke in Anspruch genommen worden (zweifacher Umfang der Außenalster) für 4000 bis 5000 Wohneinheiten. 2007 waren es nur noch 69 ha, obwohl der Bevölkerungszuwachs in diesem Jahr wieder höher war (16.500 Einwohner). Der Anteil des Eigenheimbaus am Stadtrand ist mit rund einem Drittel des Gesamtwohnungsbaus immer noch sehr hoch und trägt nicht zum Planungsziel einer kompakten Stadt bei (alle Daten vom Statistischen Landesamt).
Die positiven Effekte der Stadtentwicklung im Bezug auf soziale Integration und Umweltqualität hängen ganz wesentlich von der effektiven Nutzung der vorhandenen Stadtstruktur ab (Wohnraumnutzung, Verkehrsinfrastrukturnutzung etc.). Neben der Diskussion städtebaulicher Strategien muss es daher auch eine Diskussion der Paradigmen einer steuerungsoptimistischen Stadtplanung und wachstumsorientierten Stadtpolitik geben. Für die Hamburger Stadtregierung steht jedoch für die Bewertung erfolgreicher Stadtpolitik die Positionierung im internationalen Städteranking im Vordergrund, das auf die Erfolgskriterien der kreativen Stadt (Talente, Technologien, Toleranz) und des Klimaschutzes (Energieeffizienz des Gebäudebestands) abhebt.
Diese Entwicklungsideale passen sich sehr gut in nationale und EU-Politiken ein. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 wurde beim Treffen der nationalen Minister für Stadt- und Raumentwicklung die "Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt" verabschiedet (BMVBS 2007). Hierin wird das Leitbild der kompakten Europäischen Stadt als Stadtentwicklungsmodell stilisiert: umweltfreundlich und sozial integrativ. Es wird als Allheilmittel für praktisch jede sozialökologisch relevante Problemstellung nicht nur grandios überstrapaziert, die Fokussierung verhindert darüber hinaus eine dringend notwendige Öffnung der Leitbilddebatte und Suche nach alternativen Stadtzukünften.
Sybille Bauriedl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel, ist aktiv im Arbeitsschwerpunkt Stadt und Raum beim BUKO, bei The Thing Hamburg und der Nachtbar Hamburg.
BSU – Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der FHH (2009): Leitbild Hamburg. Wachsen mit Weitsicht. Online: http://www.hamburg.de/hamburg-wachsen-mit-weitsicht/338974/hamburg-wachsen-mit-weitsicht.html
BMVBS – Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2007): Leipzig-Charta zur nachhaltigen Europäischen Stadt. Online: http://www.bmvbs.de/Raumentwicklung-,1501.982764/Leipzig-Charta-zur-nachhaltige.htm
Bauriedl, Sybille (2007): Spielräume Nachhaltiger Entwicklung: Die Macht stadtentwicklungspolitischer Diskurse. München
Zukunftsrat Hamburg (2008): "Wie viel Fläche braucht das Wachstum - Nachhaltige Flächennutzung in Hamburg". Online: http://www.zukunftsrat.de