Stichwort Gentrification

von Andreas Blechschmidt

Die innenstadtnahen und oftmals alternativ geprägten Großstadtquartiere haben seit den 70er Jahren einen rasanten Imagewandel durchgemacht. Vor gut 30 Jahren war die marode Altbausubstanz solcher Gebäudekomplexe zumeist großspurigen kommunalen Flächensanierungen zugedacht. Doch Anfang der 80er Jahre entdeckten die politisch Verantwortlichen in den Planungsbehörden die "behutsame Stadterneuerung". Im Standortwettbewerb der Metropolen gehören inzwischen citynahe Altbauquartiere zum relevanten Faktor. Die von den Städten umworbenen steuerpflichtigen Besserverdienenden bevorzugen heutzutage ein urbanes und zugleich interessantes Wohn- und Arbeitsumfeld. So sind die ehemals unattraktiven Altbauquartiere zum umkämpften Stadtraum geworden und mittlerweile sowohl renditeträchtiges Investitionskapital wie auch begehrter Wohn- und Gewerberaum dieser Besserverdienenden. Lange Jahre wurden die damit einhergehende Verdrängung und Vertreibung als "Umstrukturierung" politisch benannt und zuweile auch bekämpft. In den letzten Jahren hat der Fachterminus der "Gentrification" Einzug in die politischen Debatten gehalten. Die Stadtsoziologie beschreibt mit diesem Begriff vergleichsweise sachlich den "mit der Hilfe von Marktmechanismen stattfindenden Bewohnerwechsel eines Wohnviertels von Arbeiter und Armen hin zu Besserverdienenden". Gentrification charakterisiert die Aufwertung eines maroden Altbauquartiers als Prozess, in dem alternative Pioniere mit unorthodoxen Lebensentwürfen aktiv das bis dahin vernachlässigte Wohn- und Lebensumfeld gestalten. Eine kleinteilige und kreativ geprägte Gewerbestruktur, Veranstaltungsorte und Szenekneipen schaffen ein alternatives Flair, das schnell über den Kreis der lokalen NutzerInnen hinaus an Anziehungskraft gewinnt. Dieser Prozess der Revitalisierung kann in der Folge sowohl durch städtisch Modernisierungsprogramme in den Gebäudebestand als weitere Fördermaßnahmen forciert werden. Die zunehmende Attraktivitätssteigerung setzt nach dem Prinzip von Nachfrage und Angebot eine Preisspirale in Gang, die sowohl die Gewerbemieten, als auch die Mietpreise für Wohnraum steigen lässt. Ab einem bestimmten Punkt werden die ehemaligen Pioniere, wenn sie nicht selbst nach Abschluss von Studium oder Berufsausbildung finanziell mithalten können, ihrerseits aus dem Quartier verdrängt. Am Ende dieses Gentrification-Prozesses steht ein Quartier, dessen Gewerbestruktur komplett ausgewechselt und in dem das Mietpreisniveau überproportional gestiegen ist, soweit nicht ohnehin ein beträchtlicher Anteil des Mietwohnungsanteil in Eigentumswohnungen umgewandelt worden ist.

Als soziologischer Begriff beschreibt Gentrification den gegenwärtigen städtischen Strukturwandel als fast gesetzmäßigen und natürlichen Mechanismus der marktfürmigen Verwertung städtischen Raumes. Dem gegenäber hat sich in den linken städtischen Szenen innerhalb der letzten 20 Jahre durchaus ein politisches Bewusstsein artikuliert, das sowohl die Mechanismen der Gentrification, wie auch die Rolle der kommunalen Behörden darin analysiert hat. Diese städtischen Planungsinstanzen sind in diesem Zusammenhang vor allem als Interessensverwalter der gezielten Aufwertung von innerstädtischen Altbauquartieren als Teil der überregionalen Standortpolitik aufgetreten. KritikerInnen dieser Standortpolitik versuchen daher, durch Aufklärungsarbeit und zum Teil konkrete Gegenentwürfe die scheinbare Gesetzmä&szig;igkeit der Gentrification infrage zu stellen. Doch diese politischen Gegenbewegungen müssen ihrerseits das Dilemma auflösen, dass sie als Teil einer linken Szene mit eigenen subkultureller Verankerung selbst unfreiwillig AkteurInnen in den Gentrification-Prozessen sind, die sie aus richtigen Gründen politisch bekämpfen.

Andreas Blechschmidt, lebt (noch) im Hamburger Schanzenviertel.